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Soziokulturelle Nachhaltigkeit

Die soziale Nachhaltigkeit – oder besser: soziokulturelle Nachhaltigkeit – ist wahrscheinlich die komplexeste und vielschichtigste Dimension der Nachhaltigkeit. Sie betrifft letzten Endes alles, was mit Lebensqualität im weitesten Sinne zusammenhängt und der Zufriedenheit des Menschen. Viele Aspekte entziehen sich naturgemäß einer quantitativen Bewertung und können – wenn überhaupt – nur qualitativ bewertet werden.

Basisanforderungen sind etwa die Grundversorgung (Ernährung, Wohnen, Gesundheit), Chancengleichheit (betreffend Bildung, Arbeit oder Information), Existenzsicherung sowie andere „soziale Ressourcen“ wie Identität, Gemeinwohl, Integration oder Toleranz. Das in der öffentlichen Diskussion wahrscheinlich am stärksten wahrgenommene Thema ist die Frage, wie Unternehmen ihre soziale Verantwortung gegenüber Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden und der Gesellschaft wahrnehmen und dokumentieren, was unter dem Titel CSR – Corporate Social Responsibility – zusammengefasst wird.

Das Beispiel Gesundheit zeigt deutlich die Überschneidung der sozialen mit der ökologischen Dimension, Wohnen tangiert alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Lebensqualität, Integration und Identität sind eng verbunden mit dem unmittelbaren Lebensumfeld, dessen Qualität von der gebauten Umwelt erheblich beeinflusst wird. Damit sind aber auch Themen wie Stadtgestaltung, Ortsbildpflege sowie die Entwicklung von Stadtquartieren verknüpft. Letzten Endes erfordert dies alles aber auch Architekturqualität, die Zufriedenheit in hohem Ausmaß vermitteln kann – oder auch nicht.

Kulturelle Identität ist aber auch vom Umgang mit dem kulturellen Erbe geprägt, weshalb auch Aspekte der Denkmalpflege und der Erhaltung schützenswerter Bausubstanz Bestandteil soziokultureller Nachhaltigkeit sind.

Die vielfältigen Ebenen soziokultureller Nachhaltigkeit legen nahe, dass viele Aspekte nur unzureichend, jedenfalls nicht quantitativ erfasst werden können. Dies trifft vor allem dann zu, wenn es gilt, einzelne Kategorien durch Kenngrößen bzw. Indikatoren abzubilden. Das Thema ist derzeit noch Gegenstand zahlreicher Forschungsaktivitäten, von einem abgesicherten Wissensstand kann nicht gesprochen werden, zumal es gerade bei diesem Thema auch höchst unterschiedliche Zugänge gibt. Dennoch wurde 2011 eine europäische Norm (ÖNORM EN 15643-4) veröffentlicht, in der ein erster Versuch unternommen wird, einige wesentliche, gebäudebezogene Kategorien der sozialen Nachhaltigkeit zu definieren.

  • Gesundheit und Behaglichkeit
    wärmetechnisches Verhalten, Feuchte, Qualität des Wassers zur Nutzung in Gebäuden, Qualität der Innenraumluft, akustische Eigenschaften, visuelle Behaglichkeit, elektromagnetische Eigenschaften, räumliche Eigenschaften
  • Zugänglichkeit
    Zugänglichkeit für Menschen mit besonderen Bedürfnissen (Barrierefreiheit), Zugang zu haustechnischen Anlagen
  • Anpassungsfähigkeit
    individuelle Nutzeranforderungen, Änderungen der Nutzeranforderungen, technische Änderungen, Änderungen der Nutzung
  • Instandhaltung
    Instandhaltungsaufwand
  • Sicherheit/Schutz
    Beständigkeit gegen klimatische Veränderungen, Widerstandsfähigkeit gegen außergewöhnliche Einwirkungen, Einbruchssicherheit und Schutz gegen Vandalismus, Schutz vor Versorgungsunterbrechungen (z.B. Energie, Wasser usw.)
  • Belastungen für die Nachbarschaft
    Lärm, Emissionen an Außenluft, Boden und Wasser, grelles Licht und Verschattung, Stöße/Erschütterungen, lokalisierte Windeffekte
  • Beschaffung von Materialien und Dienstleistungen
  • Einbeziehung der Beteiligten

 

Die hier angeführten Kriterien stellen natürlich nur eine eingeschränkte Sicht dar, die durchaus noch erweitert werden könnte. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass bei einer ganzheitlichen Bewertung von Gebäuden, die in mehreren getrennten Normen geregelt wird, auch einheitliche Bilanzgrenzen notwendig sind. In diesem Fall gilt – nicht zuletzt im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Gebäuden – das Gebäude an sich mit seinen unmittelbaren Außenanlagen, also de facto die Grundstücksgrenze, als räumliche Bilanzgrenze dieser europäischen Normenserie. Zweifellos spielen in die soziale Dimension der Nachhaltigkeit auch andere Aspekte hinein, u. a. auch regionale Effekte wie Beschäftigung oder Wertschöpfung. Die Inanspruchnahme lokal/regional verfügbarer Ressourcen, die Beschäftigung mit der regionalen Bautradition vertrauter Unternehmen und deren Mitarbeiter erzeugt regionale Beschäftigungseffekte und Wertschöpfung, reduziert aber auch den Transportaufwand und die damit verbundenen Emissionen. Mit jeder Erweiterung des Bewertungsrahmens steigt aber auch die Komplexität der Anwendung und sinkt damit letzten Endes auch die Akzeptanz bei den betroffenen Entscheidungsträgern.

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